Bonn (ots) –
Bereits seit fünf Jahren besteht das Kooperationsnetzwerk zwischen den Kliniken der gesetzlichen Unfallversicherung (BG Kliniken) und dem Sanitätsdienst der Bundeswehr. Beide Partner eint das gemeinsame Ziel der bestmöglichen Versorgung, der Rehabilitation und Wiedereingliederung von Patientinnen und Patienten – auch im Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung.
Dr. Christoph Reimertz, Koordinator für die Unternehmenskooperation der BG-Kliniken mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr und Generalstabsarzt Dr. Johannes Backus, Kommandeur des Kommandos Gesundheitsversorgung der Bundeswehr, erläutern im Interview den aktuellen Stand der Kooperation und wo der Weg, gerade im Hinblick auf die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) hinführen soll.
1. Herr Generalstabsarzt Dr. Backus, seit fünf Jahren besteht die enge Kooperation zwischen den BG-Kliniken und dem Sanitätsdienst der Bundeswehr. Welche Ziele stehen im Fokus aus der Sicht des Sanitätsdienstes?
Die Bundeswehrkrankenhäuser dienen neben ihrem klinischen Versorgungsauftrag in erster Linie als Ausbildungseinrichtungen für unser medizinisches Personal, das im Falle der Landes- und Bündnisverteidigung und anderweitiger Einsatzaufträge für die Versorgung der verwundeten und erkrankten Soldatinnen und Soldaten zuständig ist. Wir haben also fünf Hochwertkliniken für komplexe Verletzungs- und Erkrankungsmuster, analog zu den BG-Kliniken, die sich um die Behandlung und Rehabilitation von im Beruf Verletzten oder Erkrankten kümmern. Die Ausrichtung der Kliniken ist also ganz ähnlich und durchaus vergleichbar. Im Hinblick auf unseren Versorgungsauftrag haben wir quasi die gleiche DNA und da lag es nahe, gerade im Hinblick auf ein Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung, näher zusammenzurücken, um gemeinsam medizinische Ressourcen zu schaffen und weiter voneinander zu lernen.
2. Herr Dr. Reimertz, die Kooperation der BG-Kliniken mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr bestand schon vor der Vollinvasion der Ukraine und der damit einhergehenden Verschärfung der sicherheitspolitischen Lage in Europa. Welche Intention gab es seitens der BG-Kliniken, eine solche Kooperation einzugehen?
Auch wir sprechen intern gerne davon, dass uns die gemeinsame DNA zusammengebracht hat. BG Kliniken und Bundeswehrkrankenhäuser sind sich ähnlicher, als viele denken. Beide sind bereits in Friedenszeiten unerlässlich für die Akutversorgung in Deutschland. Beide haben auch einen muskuloskelettalen Schwerpunkt und verfolgen eine ganzheitliche und sektorenübergreifende Versorgung nach Arbeitsunfällen. Denn nichts Anderes ist schließlich die Kriegsverwundung eines Soldaten im Dienst unseres Landes. Und last but not least eint uns der gesetzliche Auftrag, unsere Patientinnen und Patienten jederzeit bestmöglich zu versorgen. Da war es fast schon folgerichtig, eine langfristige Partnerschaft einzugehen, in vielen gemeinsamen Fragestellungen enger zu kooperieren und uns gemeinsam als Gesundheitseinrichtungen des Bundes öffentlich bzw. politisch mehr Sichtbarkeit zu verschaffen.
3. Herr Generalarzt, ein Krieg in Mitteleuropa ist durch die sicherheitspolitischen Entwicklungen wahrscheinlicher geworden. Worauf kommt es bei der klinischen Verwundetenversorgung im Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung an?
Wie auch bei allen anderen Teilen der Streitkräfte bestimmen auch bei uns Personal und Material die Durchhaltefähigkeit. Aber gerade im Sanitätsdienst bedeutet vorhandene Expertise den Unterschied zwischen Leben und Tod. Bei sogenannten Kriegsverwundungen sprechen wir von komplexen Verletzungsmustern und Polytraumata, z.B. durch Beschuss und Explosion. Um solche Verwundungen behandeln zu können, braucht es Kliniken auf universitärem Niveau. Sowohl die Bundeswehrkrankenhäuser, als auch die BG-Kliniken können das bieten. Das Ziel der schnellstmöglichen Rehabilitation der Verwundeten muss dabei ganz klar an erster Stelle stehen, weil die Ressource Personal in einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung entscheidend sein wird.
4. Herr Dr. Reimertz, die klinische Verwundetenversorgung gehörte bislang nicht zum alltäglichen Portfolio der BG-Kliniken. Wie wird Ihr Personal auf diese Situation vorbereitet? Woher bekommt das medizinische Personal der BG-Kliniken die Expertise für die Versorgung Schuss- und Sprengverletzungen?
Das ist eine berechtigte Frage. Wir kennen aus der Ukraine die Verletzungsmuster einer drohnenbasierten Kriegsführung. Gerade die BG Kliniken halten die Kompetenzen vor, die zur Behandlung solcher Verletzungen notwendig sind. Expertise in Verbrennungsmedizin, plastisch-rekonstruktiver Chirurgie und umfassender Rehabilitation nach traumatischer Amputation gehören jetzt schon zu unserem Alltag. Natürlich gehören gemeinsame Fort- und Weiterbildungen, wie zum Beispiel der Verbrennungskurs BTC 48 und die Weiterbildung zum Notfall- und Einsatzchirurgen sowie gemeinsame Übungen mit dem Sanitätsdienst dazu, um unser Personal bestmöglich auf eine solche Situation vorzubereiten, immer in der Hoffnung, dass sie nie eintritt.
5. Herr Generalstabsarzt, es ist kein Geheimnis, dass viele Soldatinnen und Soldaten der BwKrhs im Falle LV/BV ihren Dienst nicht mehr in den Kliniken, sondern in Sanitätseinrichtungen im Einsatzgebiet leisten werden. Wer übernimmt dann die Aufgaben der Bundeswehrkrankenhäuser?
Zunächst: Wenn wir uns die gesamte Rettungskette betrachten, dann ist es entscheidend, dass das uniformierte Personal aus den Bundeswehrkrankenhäusern die notfallchirurgische und akutmedizinische Versorgung im Einsatzgebiet leistet. Ohne diese Ebenen müssten wir über die abschließende Versorgung in der Heimat gar nicht mehr reden. Die Bundeswehrkrankenhäuser werden aber in jedem Fall „am Netz“ bleiben; zu diesem Zweck werden wir uns mit Reservedienstleistenden verstärken. Die im Frieden übliche Versorgung der Zivilbevölkerung muss jedoch dann von den Nachbarkliniken in der Region übernommen werden. Die Bundeswehrkrankenhäuser übernehmen aber in LV/BV voraussichtlich auch weiterhin unverzichtbare Funktionen, wie z.B. die fachärztliche Begutachtung der Rehabilitanden.
6. Herr Dr. Reimertz, die Kompetenz der BG-Kliniken liegt in der Akutversorgung und Rehabilitation von Menschen, die sich im Beruf verletzt haben. Wo liegen, Ihrer Ansicht nach, die Herausforderungen für die BG-Kliniken in der Zusammenarbeit mit dem Sanitätsdienst und welche Vorteile bringt diese Kooperation?
Vor allem können wir voneinander lernen: Die BG Kliniken haben große Expertise in sektorübergreifender Rehabilitation, die Bundeswehrkrankenhäuser sind stark in der Aus-, Fort- und Weiterbildung medizinischer Fachkräfte. Hier lassen sich durch gemeinsame Konzepte noch viele Synergien heben. Herausforderungen bestehen bei den rechtlichen Rahmenbedingungen; da ist einiges ungeklärt oder zu kompliziert geregelt. Angefangen bei der europaweiten Ausschreibungspflicht für bestimmte medizinische Leistungen, über fehlende Verträge für gemeinsamen Einkauf und Vorräte, bis hin zur Verteilung von Patientinnen und Patienten nebst Informationsweitergabe im Kriegsfall.
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Quelle: ots
