Hintergrund — Economy 4.0: „Automatisierung ist der Schlüssel für die Zukunft der deutschen Industrie“ / Ralf Sürken, CEO Europe, Syntax

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Weinheim

Ralf Sürken ist CEO Europe des globalen IT-Dienstleisters Syntax. Das Unternehmen ist spezialisiert auf SAP- und Cloud-Services für den industriellen Mittelstand. Er erläutert er die digitalen Herausforderungen für Deutschlands Schlüsselbranche.

Herr Sürken, in Analogie zu Industrie 4.0 hat sich der Begriff Economy 4.0 entwickelt. Was ist darunter zu verstehen?

Bei Economy 4.0 geht es um eine Wirtschaft, die durchgängig und auf allen Ebenen von Daten, von Datenflüssen, von Datenanalysen geprägt ist; von Daten, die entstehen, die verändert und wieder zurück in die Ursprungssysteme und anderswohin gespielt werden. Im Grunde genommen fasst Economy 4.0 den Begriff damit einfach weiter, beschränkt sich nicht auf die Industrie, sondern beschreibt das gesamte Wirtschaftssystem.

Daten an sich sind natürlich erstmal nur ein Rohstoff, dessen Wert durch die richtige Nutzung entsteht. Diese Nutzung darf jedoch nicht von den Daten getrieben sein, sondern muss vom Business ausgehen, von den Anforderungen und Möglichkeiten. Es ist absolut ok, einfach vorauszusetzen, dass alle Daten, die wir brauchen, auch vorhanden oder zumindest aufzutreiben sind. Und dann haben wir den Nutzen im Fokus, unsere eigenen Bedürfnisse als Unternehmen oder die der Kunden. Damit lassen sich die entscheidenden Hebel finden, die neue Geschäftsmodelle erfolgreich machen.

Welche Daten sind damit ganz konkret gemeint?

Ganz einfach: Alle. Betriebswirtschaftliche Daten, Transaktionsdaten, Verwaltungsdaten, Kundendaten, Personaldaten, Konstruktionsdaten, Produktions- und Logistikdaten und mehr. Ein großer Teil davon liegt in ERP-Systemen, und davon die allermeisten in SAP. Cloud-getriebene Modernisierungsinitiativen wie aktuell RISE with SAP und GROW with SAP haben deshalb einen großen Einfluss auf die Dynamik und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß, dass man über kurz oder lang nicht um SAP in der Cloud herumkommt. Und jedes Unternehmen, das sich mit der Thematik befasst, weiß, wie komplex es ist. Ich rate deshalb, sich externe Unterstützung von neutralen Beratern zu holen. Und das sage ich nicht nur, weil wir zu denen gehören, die solche Beratung anbieten. Ich bin tatsächlich der tiefen Überzeugung, dass es anders nicht geht.

Aus welchem Grund ist das so?

Eine Migration hin zu S/4HANA, ganz gleich, ob in die Cloud oder On-Premises ist für viele Unternehmen auf eigene Faust eine Nummer zu groß. An dem Umstieg bis zum Jahr 2027 kommt kein Unternehmen vorbei, es sei denn, es plant enorme Zusatzkosten ein. Wenn es dann noch darum geht – und jetzt kommt der Knackpunkt -, im Rahmen der ohnehin anstehenden Veränderung auch noch geschäftsmodellrelevante Modernisierungen vorzunehmen, also die Nutzung von Daten zum Kern des Unternehmens zu machen, dann geht das nicht ohne Hilfe. Es läuft nicht ohne externe Perspektiven, ohne Erfahrungen aus zig ähnlichen Projekten und ohne Experten, die sich von morgens bis abends mit nichts anderem beschäftigen. Allein dauert länger, ist riskanter, lässt Potenziale liegen und hält die IT noch mehr auf, als es so ein Projekt sowieso schon tut.

„Syntax, das bedeutet, Dinge korrekt miteinander zu verknüpfen und in eine sinnstiftende Struktur bringen“

Dabei könnte man den Eindruck haben, RISE und GROW seien weitgehend schlüsselfertige Angebote – warum dann noch einmal Beratungsbedarf?

Die Pakete sind in gewisser Weise schlüsselfertig. Allerdings muss sich jedes Unternehmen vorher Gedanken machen, ob das das Haus ist, in das es einziehen möchte. Zunächst einmal ist die SAP-Cloud sehr standardisiert. Das ist vom Prinzip her gut, aber es kann Schaden anrichten, wenn man versucht, eigene bewährte Prozesse einfach nur in einen Standard zu pressen. Lassen Sie mich etwas ausholen: Mehr denn je lebt die deutsche Industrie von ihrer Spezialisierung, von dem Knowhow, das es nirgendwo anders auf der Welt gibt. Und diese Spezialisierung, diese intellektuellen Geheimzutaten, die müssen in Prozessen abgebildet sein. Deshalb brauchen sie – neben sinnvollen Standards – auch sinnvolle Individualisierung.

Außerdem sind viele Firmen auf Hilfe beim Durchdringen einer Angebotslandschaft angewiesen, die für die meisten noch neu ist. Wir verstehen uns hier als Anwälte unserer Kunden. Nicht im juristischen Sinne. Mir geht es darum, dass wir unseren Kunden beratend helfen, im Dschungel von Angeboten, Betriebsmodellen und Halbwahrheiten die richtigen Wege einzuschlagen. Mit der Cloud ist das alles sehr viel komplexer geworden. Es sind neue Player auf den Markt gerückt, die um Marktanteile kämpfen und in deren Angebote wir im Sinne unserer Kunden Transparenz bringen. Als Cloud-Pionier und mit über 50 Jahren Erfahrung im IT-Markt kennen wir sämtliche Betriebsmodelle mit all ihren Vor- und Nachteilen aus dem Effeff. Unser Name Syntax beschreibt ja letztlich die korrekte Verknüpfung von Einheiten, also vorhandene Dinge in die richtige Reihenfolge, in eine sinnstiftende Struktur bringen. Dieses Wissen und diese Kompetenz kommt unseren Kunden zugute. Damit sie bereit sind für die wichtigen anstehenden Innovationsschritte.

Womit wir wohl beim Thema Automatisierung wären, das Ihnen besonders am Herzen liegt.

Ich sage ganz deutlich: Automatisierung ist der Schlüssel für die Zukunft der deutschen Industrie – und zwar auf allen Ebenen. Das betrifft Prozesse in der Fabrik genauso wie Abläufe in der Verwaltung oder dem Kundenservice. Wir müssen die Daten nutzen, um Maschinen für uns arbeiten zu lassen. Mit Maschinen meine ich hier nicht physische Roboter, sondern Server, auf denen Apps, Bots und andere Helferprogramme laufen, und zwar auf Basis von Künstlicher Intelligenz.

Wobei man mit KI hierzulande immer noch fremdelt.

Automatisierung und Künstliche Intelligenz gehören zusammen, daran führt kein Weg vorbei. Und KI gibt es auch ohne die Herrschaft der Maschinen. Es ist wichtig, dass wir im Kleinen anfangen, sinnvolle Dinge zu tun. Was ist das größte Problem auf dem Arbeitsmarkt?

Fachkräftemangel?

Wenn wir also zu wenig Fachkräfte haben, warum lassen wir die dann Dinge tun, die auch mit Analysefähigkeiten ausgerüstete Maschinen erledigen können? Wenn wir unser Lohnniveau, unseren Wohlstand erhalten wollen, dann kommt es darauf an, effizienter zu sein als die Volkswirtschaften, in denen Arbeit wenig kostet und wo mehr Menschen zur Verfügung stehen.

Wir brauchen an der Stelle aus meiner Sicht mehr Mut und mehr Pragmatismus. Mir wäre es auch lieber, wenn KI-Innovation derzeit in Deutschland und Europa stattfinden würde, und nicht in den USA und China. Viel wichtiger ist es jedoch, dass unsere Unternehmen all diese Lösungen, die anderswo entstehen, nutzen können. Jetzt automatisieren, jetzt Intelligenz reinbringen, jetzt neue Geschäftsmodelle oder auch interne Anwendungen etablieren.

„Hochbezahlte Fachkräfte Urlaubsanträge ausfüllen lassen ist Irrsinn.“

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ein ganz simpler Ablauf, um zu zeigen, wie schnell man mit großer Wirksamkeit starten kann: Wenn ein Mitarbeiter eine Teams-Nachricht an seinen Vorgesetzten schreibt, ‚Chef, kann ich nächste Woche von Mittwoch bis Freitag frei haben?’Und die Antwort ist: ‚Ja, viel Spaß‘ – dann kann der Mitarbeiter ein Programm öffnen und einen Urlaubsantrag ausfüllen, versenden und so weiter. Oder eine KI hat schon im Chatverlauf erkannt, worum es sich handelt, hat den Urlaubsantrag veranlasst, gleich die Genehmigung eingetragen, an die entsprechenden Stellen weitergeleitet, fertig. Eine halbe Stunde Bürokratie gespart. Ähnliche Anwendungsfälle gibt es zu Tausenden in der Verwaltung, im Kundenservice, in der Produktion, überall.

Warum wird Automatisierung ausgerechnet jetzt zum Thema?

Wir hatten ja bereits eine Automatisierungswelle, die vor allem mechanisch geprägt war. Jetzt treiben zwei Faktoren die Digitale voran: die Cloud und KI. Die Cloud ist dafür das ideale Betriebsmodell, weil sie beliebig skalierbar ist. Wer neue IT-gesteuerte Prozesse aufsetzen will, muss keine Server kaufen, kein Rechenzentrum bauen, keine Leute einstellen. Die Cloud schafft also das technische Fundament, das wir brauchen. Und wie schon gesagt, sind Daten im Überfluss vorhanden.

Außerdem gehört Standardisierung zum Grundgedanken der Cloud. Sie fördert das Baukastenprinzip, nach dem alles oder zumindest vieles einfach so zusammenpasst. Und Standardisierung spielt auch rund um Automatisierung eine große Rolle; denn je standardisierter verschiedene Prozesse designt sind, desto leichter lassen sie sich miteinander verknüpfen. Zudem ist es im Sinne einer agilen Entwicklung dann auch besser möglich, kleine erfolgreiche Pilotprojekte schnell im gesamten Unternehmen auszurollen.

Wie gut ist denn die deutsche Industrie auf diese Herausforderungen vorbereitet?

Ich muss an der Stelle mal eine Lanze für die deutschen Unternehmen brechen, denen gern mal nachgesagt wird, sie hätten die Digitalisierung verpasst. Ich kenne Produktionsanlagen auf der ganzen Welt – und nirgends ist Digital Manufacturing so weit und vor allem so professionell fortgeschritten wie hierzulande. Insofern ist die Ausgangsposition hervorragend – jetzt kommt es darauf an, den vorhandenen Vorsprung zu nutzen und schnell loszulegen. Wir helfen gern dabei, und ich kann ganz unbescheiden sagen, dass wir ganz vorn dabei sind, wenn es um strategische IT-Projekte für den industriellen Mittelstand geht, nicht nur in Deutschland, sondern auch auf globaler Ebene.

Quelle: ots